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Die Blicke der Anderen 


Elmas Senol, 2019


„Through the Looking Glass“, Kehrer Verlag, Heidelberg 2020


Wir blicken in das Interieur einer Küche, deren Ausstattung sich zu einem Bild einladender Vertrautheit zusammensetzt. Weiß-graue Wandkacheln bilden einfache geometrische Formen und sind farblich auf die Einbauküche abgestimmt. Der gedeckte Tisch mit seiner blau-weiß karierten Tischdecke und dem Porzellanservice fügt sich ebenfalls unaufdringlich in das dezente Farbspektrum ein. Am Tisch sitzen wir einer jungen Frau gegenüber, die damit beginnt, aus einer Terrine Eintopf zu servieren. Gastfreundlich bietet sie den ersten Teller uns, den Betrachter*innen, an. Sie reicht zwei weiteren, noch nicht sichtbaren Gästen Teller, bevor sie sich schließlich selbst bedient.

Die Szene, der wir beiwohnen, scheint eigentlich ganz normal, wenn da nicht dieser stierende Blick der Frau wäre. Frontal blickt sie in die Kamera und wendet ihren Blick nicht einen Augenblick lang von dieser ab. Während sie Eintopf schöpft und sich und ihren Gästen auftischt, ruht ihr Blick ganz unver­froren auf dem der Betrachter*innen. Behutsam und ertastend verrichtet sie ihre Aufgaben, um uns ja nicht aus dem Blick zu lassen.

Schnitt. Perspektivwechsel. Auf dem Platz, den wir zuvor als Betrachter*innen einnehmen durften, sitzt nun die Künstlerin Meike Redeker selbst und löffelt Eintopf. Auch sie blickt dabei unentwegt in die Kamera. Hin und wieder tropft ihr ein wenig Eintopf vom Löffel, muss sie sich den Mund abwischen oder den Löffel noch einmal absetzen. Erneute Schnitte und Perspektivwechsel präsentieren uns die beiden letzten Gäste: eine weitere Frau sowie einen Mann, die, wie die beiden zuvor, in die Kamera blickend Eintopf essen.

So geht es etwa zwei Stunden lang und ohne Tonspur in Meike Redekers Einkanal-Videoinstallation „Familienbilder“ (2012) weiter. Mit jedem Schnitt folgt ein Wechsel der Kameraperspektive und nach jeder Runde um den Tisch wird neu aufgetischt. Nach dem Mittagessen Kaffee und Kuchen. Am Abend Brot, Aufschnitt und Tee. Immer wieder Nachschlag. Redeker inszeniert eine geradezu klischeebeladene Ikonografie eines gewöhnlichen deutschen Sonntagsmahles und schafft ein filmisches Porträt der Küche als sozialem Raum, in dem sich die spezifischen Erfahrungen und Erwartungen der dort Anwesenden in eine Choreografie der familiären Rituale fügen. Den Speisenden ist die Mühe anzusehen, mit der sie versuchen, ja nichts zu verschütten, nicht zu kleckern und nichts umzustoßen. Da sie die Gegenstände und Speisen, mit denen sie hantieren, nicht direkt anschauen können, müssen sie sich mit dem Sichtradius ihrer fix in die Kamera gerichteten Augen begnügen und ihren Tastsinn zu Hilfe nehmen. Dabei meint man bisweilen auch die Anstrengung zu erkennen, mit der sie dem Abschweifen ihrer in die Kamera gerichteten Blicke zu widerstehen suchen. Als Betrachter*innen haben wir zumindest die Wahl, ob wir den Blicken der vier Speisenden standhalten wollen oder ihnen lieber ausweichen und auf die Gerichte auf dem Tisch oder die Gegenstände im Hintergrund schauen.

Wie schwer es ist, einem Menschen längere Zeit direkt in die Augen zu schauen, weiß, wer schon einmal Blickduell gespielt hat. Bei diesem Kinderspiel stehen sich zwei Personen gegenüber und blicken sich so lange an, bis eine die Kontrolle verliert und den Blick abwendet oder anfängt zu lachen. Den intimen ­Blickaustausch zwischen zwei Menschen steigerte die Performancekünstlerin Marina Abramovic ́ 2010 ­anlässlich ­ihrer Retrospektive im New Yorker MoMA ins Extreme. Während der fast dreimonatigen Ausstellungsdauer saß Abramovic ́ an sechs Tagen der Woche acht Stunden am Tag an einem Tisch und tat nichts anderes, als den ihr gegenüber Platz nehmenden Besucher*innen in die Augen zu schauen. Dieser Blick in die ­Augen des jeweils anderen genügte, um bei vielen Besucher*innen eine starke emo­tionale Rührung aus­zulösen, sie zum Lächeln oder gar zum Weinen zu bringen. Abramovic ́ selbst erklärte diese Reaktionen später damit, dass Menschen einen großen Drang nach dem Kontakt mit anderen verspüren und die an der Performance teilnehmenden Besucher*innen im Moment dieses intimen Kontakts mit der Künstlerin auf sich und auf ihr eigenes Inneres zurückgeworfen wurden.¹ Wie so häufig in ihren Performances verlangte Abramovic ́ nicht nur sich selbst, sondern auch ihrem Publikum das Überschreiten eigener physischer und mentaler Grenzen ab.

Es liegt in der Natur der Performance, dass sich zwischen der Künstlerin und dem Publikum eine situationsbezogene und vergängliche Interaktion vollzieht, die im Falle von „The Artist is Present“ einen intensiven und intimen Austausch der beiden Parteien vorsah. Mit ihrer Arbeit „Familienbilder“ schafft Meike Redeker solch einen intimen Kontakt zwischen Performenden und Publikum über das Medium Film. Durch den direkten und fortwährenden Blickkontakt mit den Speisenden sowie die kameraperspektivische Einstellung einer frontalen Nahsicht können wir uns als Betrachter*in einer unmittelbaren Konfrontation gar nicht entziehen. Gleichzeitig wird uns dabei unsere ambivalente Rolle als Betrachter*in vorgehalten. Lässt uns die Künstlerin in die verschiedenen Perspektiven der Speisenden schlüpfen und somit am Gastmahl teilnehmen? Oder überführt sie uns etwa als voyeuristische Eindringlinge? In jedem Fall geht es Redeker in ihren Arbeiten auch immer um das Reflektieren eines Macht­gefüges, das sich in der Beziehung ­zwischen Filmenden, Gefilmten und Beobachtenden manifestiert. Ihren Filmen stellt sie stets die Frage voran, welche Rolle die Kamera einnehmen kann und welche Macht davon ausgeht, über die Bilder anderer zu verfügen. Der Blick der Darsteller*innen in die Kamera versteht sich in „Familienbilder“ somit auch als ein emanzipatorisches Element, in dem die Beobachteten selbst auch zu Beobachter*innen werden.

Das Aushalten einer durch die Künstlerin festgelegten Handlung lässt sich als häufig wiederkehrendes Merkmal in den Filmen von Meike Redeker ausmachen. In „Familienbilder“ verlangt sie sich und den Darsteller*innen Konzentration, Geschick und Ausdauer ab. Das ruhig verlaufende Mahl und die langen Einstellungen fordern aber auch die Geduld der Betrachter*in ein. Diese wird nicht nur durch den an­haltenden Blickkontakt mit den Speisenden strapaziert, sondern auch in lang andauernden Momenten, in denen die Gabel das Stückchen Kuchen nicht zu finden vermag, der Teller Eintopf sich nicht zu leeren scheint oder der Laib Brot sich nur unter großer Anstrengung in Scheiben schneiden lässt. Die unbeirrte Ruhe, mit der die Speisenden ihre Handlungen verrichten, steigert das untätige Zuschauen bisweilen ins Unerträgliche.

Den schmalen Grat zwischen gespannter Neugierde und ungeduldiger Unruhe kitzelt Redeker bei den Betrachter*innen immer wieder gekonnt heraus. Ihren Filmen wohnt ein performatives Moment inne, das sich in einer vertrauten und alltäglichen Umgebung abspielt. Dabei können für ein deutsch oder zumindest westlich sozialisiertes Publikum die Küche in „Familienbilder“ ebenso wie die Einkaufspassage in „Die Beunruhigenden Musen“ (2016) als Stellvertreter fungieren für die Idee, die wir von einer Küche oder einer Einkaufspassage haben. In der Videoinstallation „Die Beunruhigenden Musen“ laufen parallel auf fünf Bildschirmen Aufnahmen von den Eingangsbereichen verschiedener Modehäuser. Zunächst ist nichts weiter zu sehen als das geschäftige Treiben, das sich in und vor den Modehäusern abspielt. Kund*innen gehen ein und aus, Popmusik ertönt aus dem Hintergrund und Passant*innen eilen an den Läden vorbei. In jedem der Eingangsbereiche führen stumme und in ihrer Bewegung verharrende Mannequins die aktuelle Damenkollektion vor. Es ist ein Anblick, wie man ihn nicht nur aus jeder Einkaufspassage einer deutschen Mittel- bis Großstadt kennt, sondern auch verkennt, da es mit dem allzeit verfügbaren Über­angebot bunter Konsumgüter zur endgültigen Sättigung der Sinneswahrnehmung gekommen ist.

Das Moment der Verwirrung setzt ein, als aus dem Hintergrund eine Frau Richtung Eingang respektive Ausgang marschiert. Es handelt sich wie so oft in Redekers Filmen um die Künstlerin selbst. Bekleidet mit dem jeweils identischen Outfit eines Mannequins löst sie beim Überschreiten der Sicherheitsschranke den Ladenalarm aus und verharrt sogleich an Ort und Stelle in der gleichen Pose wie ihr seelenloses Double. Die Szene wirkt im direkten Kontrast von Mannequin und das Mannequin kopierender Frau geradezu absurd. Original und Abbild des Originals verkehren sich in ihrer gegenseitigen Beziehung zueinander und führen sogleich zu Verwunderung und Unruhe bei den Umstehenden. Weder die Reaktionen der Passant*innen noch der schrille Alarm bringen die Künstlerin aus der Ruhe. Sie hält den Blicken und den Rufen so lange stand, bis sie das physische, fast schon aggressive Eingreifen der Ladenmitarbeiterinnen aus ihrer Starre erweckt und diese sie in den Laden zurückführen.

Der Titel „Die Beunruhigenden Musen“ ist dem gleichnamigen Gemälde Giorgio de Chiricos entlehnt, das dieser während des Ersten Weltkrieges malte und wovon er nach 1945 mehrere Repliken anfertigte. In einer Stadtansicht Ferraras sind im Vordergrund des Bildes die titelgebenden Statuen Melpomene und Thalia, die Musen der Tragödie und der Komödie, zu sehen. Redekers Videoarbeit ist der Kommentar zu jener Tragik-Komödie, in der das Bestreben einer modernen westlichen Gesellschaft nach größtmöglicher Individualität letztendlich in einer Masse an Uniformität untergeht. Global operierende Unternehmen wie H & M, IKEA oder Apple prägen nicht nur die zu austauschbaren Kulissen mutierenden urbanen Lebens­räume der Menschen, sondern auch ihr eigenes Aussehen und die Einrichtung ihrer Wohnungen. Selbst der Versuch, als Konsument*in nicht die Massenprodukte internationaler Ketten zu kaufen und sich bei Streifzügen durch Flohmärkte, Secondhandläden und Antiquariate mühevoll ein individuelles Erscheinungsbild zusammenzustellen, ist zum Scheitern verurteilt: In jeder größeren Stadt gehört der Vintage-Look inzwischen zum Mainstreambild und fügt sich mit dem der Hipster und Casuals zur Patchwork-Uniformität unserer global vernetzten Zivilisation. Auffallen, um bloß nicht aufzufallen,
scheint die Devise. Durch die direkte Gegenüberstellung von Mannequin und Konsumentin gelingt es Redeker, uns diese Uniformität vor Augen zu führen und uns selbst als willigen Teil einer Mannequin­armee der großen Modeunternehmen zu enttarnen. Das scheinbar Individuelle ist letztlich auch nur eine identitätsstiftende Bekundung darüber, ein akzeptiertes Mitglied innerhalb einer der vielen sozialen Gruppen zu sein.

Unsere Rolle und Verantwortung als Konsument*innen ist auch Gegenstand der Arbeit „Die Brücke“ (2015). Ausgestattet mit einer Hello-Kitty-Spielzeugkamera versucht die Protagonistin des Films – gespielt wird diese von der Künstlerin selbst – die Perspektive eines Kindes einzunehmen, um sich auf eine Erkundungstour durch ihre Küche zu machen. Ein einsamer Spielzeugpinguin im Tiefkühlfach scheint der ausschlaggebende Impuls zu sein für die nun einsetzende abenteuerliche Rettungsaktion der Tiere. Dafür muss eine Brücke gebaut werden! Was wäre da also naheliegender, als das für den Brückenbau benötigte Holz durch das Verspeisen von Eis am Stiel zu beschaffen? Die Protagonistin bricht auf zu ihrer Mission und hält die Kamera dabei auf der Augenhöhe des Kindes, in dessen Rolle sie geschlüpft ist. Da sie auf diese Weise aber nicht durch die Kamera schauen kann, muss sie in die Hocke gehen, um zu sehen, was die Kamera sieht. Dies wiederum hat zur Folge, dass sie in ihrer watschelnden Gangart nicht mehr so gut und schnell vorankommt, wo doch gleichzeitig die Zeit so drängt. Immer wieder wechselt sie ­zwischen normaler und watschelnder Gangart und somit zwischen der Art und Weise, wie sie die Welt als Erwachsene oder als Kind sieht. Als Erwachsener fehlt ihr vielleicht der Sinn für die Dringlichkeit ihres Unterfangens, als Kind hat sie aber sicher nicht die gleichen Möglichkeiten, dieses umzusetzen. Es stellt sich als ein unmögliches Unterfangen heraus, die Perspektive eines Anderen komplett einzunehmen. In einem Supermarkt angekommen, häuft die Protagonistin massenweise Eis auf das Förderband der Kasse, auf dem sich auch schon eine ganze Kolonne an Tieren aufgereiht hat. Um das Eis zu verspeisen, wendet sie sich hilfesuchend an Passant*innen auf der Straße. Die Reaktionen der Erwachsenen sind ernüchternd, niemand scheint den Zusammenhang zwischen Eiskonsum und Umweltgefahr zu verstehen, niemand nimmt sich die Zeit, der Protagonistin Gehör zu schenken. Unbeirrt von den skeptischen Blicken und dem abweisenden Verhalten spricht sie ungeniert und mit kindlichem Eifer immerfort Menschen an. Die ganze Rettungsaktion wirkt nicht nur naiv und absurd, sondern ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Schonungslos überfährt ein Auto einige der Tiere und gerade als es der Prota­gonistin gelingt, den ersten Teil der Brücke mit Holzstielen und Tesafilm zusammenzufügen, nimmt die Rettungsaktion ein jähes Ende, weil ein unachtsamer Passant die Brücke zertritt. In schnellen und wechselnden Schnitten verfolgen wir das hektische Geschehen in „Die Brücke“. Die schlechte Auf­nahmequalität der Kamera und die verwackelten Bilder steigern die Spannung um das kindliche und letztendlich scheiternde Unterfangen der Rettungsaktion.

Meike Redeker denkt in ihren Arbeiten das Spezifische des Mediums Film immer mit. Sie ist nicht an cleanen und perfekt nachbearbeiteten Aufnahmen interessiert, sondern an einer ungeschönten Wieder­gabe, die auf das eingesetzte Medium, die Beziehung zwischen Betrachtenden und Betrachteten sowie die spezifischen Kameralinsen und ihre jeweiligen Perspektiven verweist. Dies wird besonders in der Arbeit „here is where i long to be, also within and among the images“ (2014) deutlich. In einer Art filmischer Collage wird das Bildermachen vorgeführt, von den einzelnen Entwicklungsschritten in einem Fotolabor hinüber zu Aufnahmen bewegter Bilder mit verschiedenen Video- und Handykameras. Ein Bildinventar der uns täglich umgebenden Dinge zieht in schneller Abfolge an uns vorbei. Kaffeetassen, Lebensmittel, Drogerieartikel, CDs, Schlüssel, Behälter. Dazwischen tauchen immer wieder Szenen auf, in denen eine Frau in intimen Nahaufnahmen von ihren Träumen erzählt, an die sie sich manchmal nicht mehr genau zu erinnern vermag. Die Flüchtigkeit der Träume findet ihre Analogie in der Flüchtigkeit der modernen Bilderflut, die mit rasantem Tempo über die zahlreichen medialen Kanäle auf uns niedergeht.

ln der Arbeit „Scratch Yawn Hum“ (2015) nimmt die Künstlerin ähnlich wie in „Familienbilder“ direkt Kontakt mit den Betrachter*innen auf. Nicht Blickkontakte, sondern direkte Ansprachen in Form von Text wenden sich an die Betrachter*in und lassen die evozierten Bilder erst in der Vorstellung dieser entstehen. Dazu muss mit dem eigenen Smartphone ein QR-Code gescannt und die entsprechende GIF-Animation auf selbigem Gerät abgespielt werden. Die Anweisungen auf dem Smartphone spannen einen Beziehungs­bogen zwischen individueller Betrachtung und der Interaktion mit dem die Betrachter*in umgebenden Umfeld.

Immer wieder gewinnt Meike Redeker vertrauten Situationen oder Umgebungen Momente der Ver­fremdung ab und fordert somit die Erwartungen und Sehkonventionen der Betrachter*innen heraus. Ihre direkte Umgebung nutzt die Künstlerin dabei als Ausgangspunkt und Handlungsraum, in dem sie die für sie relevanten gesellschaftlichen Fragen verhandeln kann. Gewohnheiten und Vertrautes zu hinterfragen, um sich so neuem und unbekanntem Terrain aussetzen zu können, liegt der Arbeit „Vereine tauschen“ (2018) zugrunde. Während eines einjährigen Aufenthalts in Northeim initiierte Meike Redeker gegen­seitige Besuche zwischen verschiedenen Ortsvereinen. Resultat dieses Austauschs ist ein filmisches Porträt in Form eines Zweikanal-Videos, in dem die teilnehmenden Vereine in den Räumen fremder Vereine dargestellt werden. Zum einen als Gruppe, die sich zu einem gemeinsamen Foto in den fremden Räumlichkeiten zusammengefunden hat, und zum anderen als einzelne Vereinsmitglieder, die den neu erlernten Tätigkeiten des fremden Vereins nachgehen. Vereine sind soziale Räume, in denen Austausch stattfindet, sportliche Aktivitäten praktiziert oder Veranstaltungen organisiert werden. Sie sind somit auch Räume für Rituale. Vereinszugehörigkeit bedeutet gleichzeitig auch Exklusivität und Ausschluss gegenüber Nichtmitgliedern. In Redekers künstlerischer Arbeit findet eine Aufgabe eingefahrener Rituale und Gruppenzugehörigkeiten zugunsten eines sozialen Austauschs mit anderen statt. Hinter dem scheinbaren Interessensunterschied des örtlichen Schach-, Reit- oder Schützenvereins liegt letztendlich das alle miteinander verbindende Interesse an sozialem Miteinander.

In Redekers Arbeit „Ophelia“ (2020) kommt der zeitliche Ablauf des Films als inhaltsstiftendes Element zum Einsatz. Das Video thematisiert die Schwierigkeit, aus festgelegten Geschlechterbildern auszu­brechen. Durch die Funktion des Zurückspulens wird ein eingangs rückwärts vorgetragenes und damit zunächst nicht verständliches Manifest durch das Medium Film erst dechiffrierbar gemacht. Auf der Zeitachse entsteht im Moment der Halbzeit eine Art Spiegelung innerhalb des Videos, bei der sich die zwei jeweiligen Filmhälften gegenüberstehen. Dabei ist es quasi das Spiegelbild der originären Aufnahme, das uns den Gehalt der künstlerischen Botschaft wiedergibt. Die künstlerischen Botschaften Redekers entlehnen den uns unmittelbar umgebenden und vertrauten Räumen eine universelle Bedeutungsebene, die stellvertretend für ein großes Ganzes steht. Der mit dem Kunstpreis des Lüneburgischen Landschaftsverbandes ausgezeichnete Film „Ophelia“ veranschaulicht auf eine besonders poetische Art, wie Meike Redeker die spezifischen Ausdrucksformen des Mediums Film als form- und inhaltgebendes Material einsetzt. Ihre Filme sind somit auch immer Verweis auf das Medium selbst.




¹ „This enormous need of the humans to actually have contact [...] There is nowhere to go but into yourself.“ Zitiert nach „Marina Abramović on performing The Artist is Present (2012)“, Video, YouTube www.youtube.com/watch?v=U6Qj__s8mNU.